Tag 02 (04.06.2023) - Kopenhagen: Die Ärzte Club Konzert im Vega - das bisher härteste Konzert meines Lebens
Zurück im Hotel sind wir um 15:45 Uhr, schon ganz schön spät. Normalerweise würde ich bereits jetzt gerne an der Konzert Location anstehen, eigentlich sogar schon früher. Ich stehe gerne in der ersten Reihe, unter anderem, damit ich bei meiner kleinen Größe etwas sehe, aber auch, weil es meistens der entspannteste Platz in der gesamten Halle ist. Man bekommt Luft von vorne, Leute können nur von hinten drücken und nicht aus allen Richtungen, wenn man Glück hat, kann man noch ein Plek abgreifen... Perfekt einfach. Bei den Ärzten mache ich mir auf die erste Reihe aber keine Illusion, dafür sind die Fans zu verrückt und zelten meistens schon seit dem Vorabend vor den Eingängen (War bei der diesjährigen Hallen Tour auch wieder so). Bei meinen normalen Metal Konzerten reicht eine Stunde vor Einlass häufig, um ganz vorne zu stehen. Die Location wird heute aber so klein sein, dass man von überall sehen kann, also bin ich heute ein wenig entspannter.
Nach den 15 km Fußmarsch werfen wir uns erst einmal für ein paar Minuten auf die Betten und gönnen unseren Füßen eine kleine Verschnaufpause, die sind heute noch mehr als gefragt. Meine mittlerweile getrockneten Klamotten landen wieder im Koffer, außerdem lade ich schnell meine Apple Watch für die Pause, außerdem den Kamera Akku und die Powerbank - ich möchte mit vollen Geräten in den USA Urlaub starten Ich ziehe mich um und packe meine stylische Konzert-Bauchtasche. Die hat sich einfach bewehrt, denn eine Handtasche nervt und sicherer kann man seine Wertsachen nicht haben. Außerdem hängt mein Gehörschutz immer am Reißverschluss und kann so nicht vergessen werden - in den letzten zwei Jahren sind meine Konzert Aktivitäten derart eskaliert, dass ich die Ausrüstung optimieren konnte
Um 17 Uhr sitzen wir wieder im Auto und sind auf dem Weg zur Konzertlocation, dem Vega. Die Fahrt soll 18 Minuten dauern, Zeit genug für mich also, um erst einmal gepflegt einzupennen Auch hier finden wir sofort einen kostenlosen Parkplatz in einer Seitenstraße, nur wenige Meter vom Ziel entfernt. Läuft bei uns heute! Die Schlange ist zwar vorhanden, aber überraschend überschaubar bisher und liegt schon komplett im Schatten, der Hoodie muss also mit.
Wie schon erwartet, hier sind nur die absoluten Hardcore Fans, natürlich alle aus Deutschland. Die Leute vor uns waren gestern auf dem Nighwish Konzert in Stockholm und vorgestern auf dem Ärzte Konzert in Stockholm... Wenn man den Gesprächen um uns herum glauben kann, dann sind wir die einzigen hier, die NUR nach Kopenhagen gefahren sind und nicht WENIGSTENS auch noch nach Stockholm. Die meisten setzen sogar noch einen drauf und werden übermorgen auch in Luxemburg dabei sein. Ich frage mich echt, wie die das mit den Tickets hinbekommen haben, es war ja schwer genug welche für eine der Locations abzugreifen So richtig Hunger haben wir beide nicht, aber es kommt ein wenig Futterneid auf, denn viele der Wartenden haben sich noch eine Pizza organisiert. Außerdem wird das Konzert lange gehen, besser also jetzt noch einmal für Nahrungszufuhr sorgen Eine Stunde vor Einlass holt Steve uns noch eine Margerita zum teilen.
Mit 10 Minuten Verspätung beginnt der Einlass, mittlerweile hat sich die Schlange natürlich schon wieder komplett unnötig verdichtet, als ob es so schneller gehen würde. Als es soweit ist beginnt die totale Eskalation, besonders die Frauen drängeln als gäbe es kein Morgen und versuchen vorzudrängeln. Eine ist besonders schlimm und ranzt permanent ihren Kerl ein, dass er sich gefälligst mehr beeilen und mehr drängeln soll. Irgendwie quetschen die sich an uns vorbei, geraten dann in einen Streit mit der Security und blockieren unnötig lange unseren Eingang, während es neben uns weitergeht Da haben die beiden, und alle anderen hinter ihnen, jetzt aber so richtig was gewonnen. Ich hasse Menschen
Wir gehen direkt durch zur Bühne und es wird, wie erwartet, nicht mehr die erste Reihe, auch nicht die 2. oder 3., aber es dürfte so die 5. sein. Näher wird es bei einem Ärzte Konzert wohl nicht mehr.
Es gibt eine Empore, die noch recht leer ist, als ich mich zum ersten mal umsehe. Ich überlege ernsthaft... Man hätte eine perfekte Sicht und es wäre vermutlich halbwegs entspannt. Steve ist von der Idee aber nicht so überzeugt und ich bin auch nicht 100% sicher, also lassen wir es. Er hat ja recht, die Stimmung wird hier unten deutlich besser sein und man kann viel besser mitmachen, wenn man mitten drin steht. Ein Fehler ist diese Entscheidung trotzdem Leider verzögert sich der Beginn auch noch länger, als wir gehofft hatten. Auf unseren Tickets steht nämlich, dass es um 20 Uhr losgeht, auf der Homepage vom Vega steht 20:30 Uhr und offenbar hält man sich leider an letzteres. Eine Vorband wird es heute Abend nicht geben, das würde den zeitlichen Rahmen auch komplett sprengen, die Ärzte sind nämlich bekannt dafür, nicht unter 3 Stunden Spielzeit auf die Bühne zu gehen.
Wie winzig das Vega ist! Einmal mehr können wir unser Glück, Tickets bekommen zu haben, kaum fassen. Letztes Jahr haben wir die Ärzte im ausverkauften Rhein-Energie Stadion in Köln gesehen und jetzt hier, in einem 1200 Personen Club, quasi ein Wohnzimmer Konzert.
Es dauert nur wenige Minuten und es wird bei uns schon total eng. So schlimm habe ich es bisher noch nie erlebt, bereits eine Stunde (!) vor Beginn des Konzerts stehen wir so einquetscht, dass man absolut keine Chance mehr hätte auf Klo zu gehen oder Getränke zu holen. Von der Temperatur, verstärkt durch die Reibung auf allen vier Seiten, will ich gar nicht erst reden Ich weiß wirklich nicht wie das möglich ist, aber komplett dreiste Menschen schaffen es trotzdem noch, sich genau vor unsere Nase zu drängeln, natürlich absolute Riesen, wie sollte es anders sein. Ich wiederhole: Ich hasse Menschen Ich weiß, eigentlich dürfte ich dann nicht so oft auf Konzerte gehen, schon gar nicht im Innenraum, aber ich wiederhole mich gerne nochmal: Ich bin Fan der ersten Reihe
Bis 2020 war meine Konzert Aktivität sehr überschaubar - es waren 17 Konzerte auf mein gesamtes, bisheriges Leben verteilt. Nach Corona ist es eskaliert, weil ich plötzlich so viel mehr Bands gehört habe und alle auf einmal sehen wollte, so komme ich alleine in 2023 auf insgesamt 29 Konzerte. 2022 sah ähnlich aus... Eine sehr komische Verteilung Woher ich das so genau weiß?! Ich habe einen Account auf Setlist.fm. Hier kann man nicht nur nachschauen, welche Lieder auf jedem Konzert gespielt wurden, sondern hat auch eine persönliche Statistik. Was ich damit jetzt sagen will? Ganz einfach: Ich habe mittlerweile sehr, sehr viele Konzerte erlebt, aber was heute Abend passiert, als Bela, Farin und Rod auf die Bühne kommen, lag bisher fern meiner Vorstellungskraft. Die Hölle bricht einfach über uns herein.
Alles drückt. Von vorne, von hinten, von rechts, von links. Man hat das Gefühl, zwischen vier Matratzen eingequetscht zu sein und langsam, aber sicher zu ersticken. Individuell bewegen ist nicht möglich, die Arme heben ist nicht möglich, eigentlich ist gar nichts möglich. Eigentlich ist nicht einmal hinfallen möglich, was immerhin der einzige Pluspunkt an der Situation ist. Farin unterbricht schon das allererste Lied nach wenigen Sekunden, um zu fragen ob alles in Ordnung ist. Immerhin nah sind wir!
Nach zwei Liedern bin ich durchnässt, als wenn ich grad mit Klamotten aus der Dusche gekommen wäre und ich befürchte ernsthaft, dass ich aktuell nicht weit entfernt bin von der ersten Panikattacke meines Lebens. Zwei mal lag ich schon komplett in der Waagerechten, zusammen mit allen anderen Menschen um mich herum, bin aber automatisch durch den Druck von der anderen Seite wieder aufgerichtet worden. Crowdsurfer fliegen ohne Unterlass über uns hinweg, teilweise zwei oder drei gleichzeitig, so das die Gefahr zusätzlich auch noch jederzeit von oben kommen kann.
Das folgende Video mag einen kleinen Eindruck geben, spiegelt aber nicht ansatzweise wieder, wie voll und eng es eigentlich wirklich ist.
Es reicht, ich muss hier vorne raus! Aber ich habe keine Ahnung wie... Es geht halt einfach nicht. Normalerweise schafft man es auf vollen Konzerten irgendwann nur nicht mehr weiter nach vorne, weil einen (verständlicherweise) niemand lässt, aber hier geht es ebenfalls weder zur Seite, noch nach hinten. Es ist schlicht und ergreifend kein Platz um eine ausreichend große Gasse zum Durchquetschen zu bilden. Die Leute WOLLEN uns durchlassen, aber sie können nicht. Die beste Option wäre in dem Fall vermutlich selbst zu crowdsurfen, ich denke ernsthaft darüber nach. Dann könnte ich das auch gleich von der Bucketlist streichen, win win also Andererseits - vor mir liegen 4 Wochen USA, eine Verletzung will ich nicht riskieren. Wobei dieses ganze Konzert offen gesagt ein beträchtliches Gesundheitsrisiko darstellt
Irgendwie schaffen wir es 3 Reihen weiter nach hinten und ein klein wenig mehr nach links in Richtung Ausgang, ich glaube, so ungefähr muss sich ein Geburtskanal anfühlen. Hier ist es immer noch sehr, sehr, sehr anstrengend, eng und heiß, aber für Körper und Psyche irgendwie aushaltbar. Ich schaffe es jedenfalls, mich mit meiner Situation an der Stelle abzufinden und den Rest des Konzerts machen wir einfach mit und haben viel Spaß! Daran hatte ich in den ersten Minuten ehrlich gesagt nicht mehr geglaubt. Falls es jemanden näher interessiert, ein paar Videos habe ich noch:
Die Ärzte machen ja immer viel Unsinn auf ihren Konzerten. Die reden ununterbrochen Nonsens und die Texte der Live Versionen bleiben auch selten beim Original - bei diesem Wohnzimmer Konzert ist es sogar noch heftiger
Hier, an unsere neuen Stelle, schafft Steve es sogar sich nach draußen zu schlagen und uns zwei eiskalte Flaschen Wasser zu besorgen. Ich sag's euch, das ist das geilste Wasser meines Lebens! Die Position zu halten ist heute schwer, immer mal wieder sind wir weiter vorne, dann wieder weiter hinten, eigentlich wird man fast überall mal hingeschoben, nur auf der Empore landen wir nicht versehentlich
Das obligatorische Hinsetzen bei der Strophe von "Unrockbar" wird im überfüllten Vega zur Herausforderung, aber nichts, was zumindest die hinteren Reihen nicht irgendwie bewerkstelligt bekommen.
Unterm Strich war das ein richtig geiles Konzert, auch wenn der Anfang mehr als grenzwertig war. Um 23:30 Uhr ist der Spaß dann zuende und wir sind einfach nur durch, nass bis auf die Unterhosen, aber glücklich. Trotzdem bin ich absolut froh, dass nicht jedes Konzert so abläuft, dann wäre das wohl eher weniger mein Fall Definitiv reicht mir auch der eine Auftritt in Kopenhagen, dreimal innerhalb von einer Woche würde ich mir diese Eskalation nicht antun wollen. Merch gibt es von der Tour übrigens leider wirklich keins und so schauen wir einfach möglichst schnell, dass wir an die frische Luft kommen und mal so richtig durchatmen können. In zwei Minuten sind wir wieder am Auto und können, ohne Abreisestau, direkt losfahren, die wenigsten scheinen überhaupt mit dem Auto angereist zu sein.
Zurück im Hotel ist eine Dusche noch absolut notwendig, die Hose muss auch im offenen Fenster gelüftet werden. Ich habe nur diese eine Jeans dabei und die soll bitte morgen früh, beim Flug, nicht mehr nass sein Um 00:20 Uhr liegen wir im Bett, der Wecker klingelt gleich, ich muss zum Flughafen Was ein Tag, was für ein Abend!