Leavenworth ist ein bayrisches Dorf in Washington. Es liegt aus der Ostseite der Kaskaden am Highway 2, der von Seattle aus über den Stevens Pass führt.
Der erste (und meist auch der zweite und dritte) Eindruck den man speziell als deutscher Tourist von Leavenworth hat ist: "Hilfe, was für ein Kitsch!!!!" Und es gibt auch das volle Programm: Biergarten mit Bratwurst, Knackwurst, Weisswurst,etc. , Lautsprecher auf dem Dorfplatz neben dem Maibaum aus dem Heino und "Oans, Zwoa, gsuffa" schallen, Verkäuferinnen tragen grundsätzlich Dirndl, Motels heissen Ritterhof oder Enzian Inn und über jeder Tür steht "Herzlich Wilkomen" oder so.
Wenn man sich allerdings ein wenig mit der Geschichte von Leavenworth beschäftigt eröffnet sich ein zweites - anderes - Bild: Leavenworth war eine von vielen kleinen Holzfällerstädten in den Kaskaden und lebte vor allem von seinem Sägewerk und dem Eisenbahnanschluss, wo das Holz verladen wurde. Dann verlegte erst die Eisenbahn-Gesellschaft ihren Bahnhof nach Wenatchee und dann wurden immer weniger Einschlaggenehmigungen von staatlicher Seite erteilt, so dass das Sägewerk auch schloss.
In dieser schwierigen Situation für den Ort beschloss man auf den Tourismus als Ausweg aus der Krise zu setzen. Der Ort liegt schön an einem Fluss in den Bergen, das Skigebiet am Stevens-Pass ist in der Nähe. Alles was fehlte war eine "Story" um sich im Wettbewerb um Touristen von all den anderen kleinen Orten zu unterscheiden. Eine Einwohnerin war im "dänischen Ort" Solvang in Kalifornien gewesen und schlug vor, etwas ähnliches in Leavenworth zu machen. Welches Thema bietet sich bei einem Bergdorf an: Bayern und so wurde aus dem Holzfällerstädtchen Leavenworth das Bayerndorf Leavenworth ohne das es dort irgendwelche deutschen Auswanderer oder Exil-Bazis gegeben hätte.
Was man den Leavenworthern zu Gute halten muss, sie haben dann auch keine halben Sachen gemacht. man hätte ja auch nur ein paar Sperrholzfassaden mit Fachwerk malen können und das Ortsschild in Fraktur schreiben können und fertig, aber es wurden Leute nach Bayern geschickt, wo sie Schnitzhandwerk, Braukunst, usw. lernten und dann ihre Kenntnisse vor Ort umsetzten und anfingen Häuser im bayrischen Stil zu bauen, Bier zu brauen, Wurst zu machen etc. Selbst grosse Ketten wie McDoof oder Starbucks haben ihre Logos in Leavenworth auf bayrisch getrimmt.
Und der Erfolg gibt den Leuten Recht, das Dorf ist ein beliebtes Touristenziel und das ganze Jahr durch voll.
Für Deutsche ist es trotzdem ein wenig komisch und es fällt einem natürlich vieles auf, was nicht original ist. Ich habe mich mit einem Mann unterhalten der Bier zapfte. Er meinte, die Deutschen würden ihm immer als erstes erklären, was alles nicht stimmt. Das wäre manchmal etwas anstrengend.
Ich war bisher zwei Mal in Leavenworth, vor allem erstmal weil es günstig am Stevens Pass, einer relativ schönen Strecke von Seattle aus nach Osten liegt, und zum anderen weil ich finde, wenn man genau hinguckt, kann man in Leavenworth viel über Deutsche und Amerikaner und Ihr Bild voneienander lernen. Und zur Abwechslung mal im Biergarten bei Wurst und Sauerkraut mit einem deutschen Bier sitzen ist ja auch nicht schlecht. Einen grossen Umweg würde ich dafür nicht fahren, aber ich finde wenn es am Weg liegt ist Leavenworth ein sehr lohnenswerter Stopp. "Ganz klasse!"