Weit komme ich nicht, da kommt mir ein goldener Tahoe entgegen, der plötzlich neben mir anhält.
„Are you walking here on purpose or did your car brake down?“
Anscheinend würde ein Local bei diesem Wetter nicht auf die Idee kommen zum Chapel Beach zu wandern, verübeln kann ich es ihnen nicht. Ich berichte der Fahrerin also von meinen Plänen und sage ihr, dass ich gleich hier in der nächsten Straße parke.
Das wäre keine Straße sondern ihre Einfahrt, aber so lange sie durchfahren kann ist das absolut kein Problem. Ich könne aber auch hinten bei ihrem Haus parken, das wäre vielleicht besser damit ihr Mann mit seinem Schneepflug besser durchkommt. Da könnte ich das Auto auch viel besser parken.
Ich drehe also meinen Wagen und folge ihr durch die Einfahrt, diese erstreckt sich über mehrere hundert Meter und endet vor einem wirklich sehr hübschen und urigen Haus, lange Holzbohlen, große Fenster, hier könnte ich es definitiv aushalten.
Die Frau stellt sich als Lori vor, als herauskommt, dass ich aus Deutschland komme erzählt sie mir, dass sie einen deutschen Großvater hat und Lori eigentlich die amerikanisierte Version Loreley ist, aber den Namen kenne hier keiner.
„Did you bring snowshoes?“
Ich hatte ja überlegt welche zu mieten, aber wusste am Ende auch nicht wie man damit so richtig läuft, also hab ich mich dagegen entschieden.
„No problem, I can borrow you mine and when you are back, feel free to have a coffee with us”
Oh mein Gott, das liebe ich so an den USA, ich habe versehentlich in der Ausfahrt eines Fremden geparkt, bekomme Equipment ausgeliehen und sogar noch eine Tasse Kaffee angeboten. Hätte ich das in Deutschand gemacht wäre das Ordnungsamt wohl schon gerufen worden bevor ich mich entschuldigen kann .
Nur den von mir geplanten Hike, den würde sie nicht machen. Auch wenn es der Grund ist weshalb ich überhaupt hier bin. Sie könne es mir zwar nicht verbieten, aber der Schnee ist frisch gefallen und damit sehr weich, liegt Schulterhoch, ich bin alleine und Handyempfang gibt es hier auch nicht. Stattdessen soll ich lieber noch einmal im Juni oder Herbst vorbeikommen, dazwischen wimmelt es von Mücken, Insekten und Touristen .
Im Regelfall wäre ich jetzt ziemlich deprimiert, dass ich den eigentlichen Grund für meine Reise nicht zu sehen bekomme, doch in den letzten drei Tagen hat mir der Staat hier schon so gut gefallen, dass ich den Entschluss im Herbst noch einmal wiederzukommen bereits gefasst habe. So steige ich auf die Schneeschuhe, verabschiede mich von Lori und laufe los. Ein Ziel habe ich nicht wirklich, doch die verschneite Landschaft hier ist wirklich wunderhübsch und so wird sich schon was finden.
Das Schneeschuhwandern an sich hat man recht schnell raus. Es ist eine Mischung aus Ausfallschritt und Langlaufski und nachdem ich mich anfangs nur zwei Mal fast langgepackt habe bekomme ich schließlich ein ganz ordentliches Tempo drauf. Die Ausfahrt lasse ich schnell hinter mir und laufe die Chapel Road nach Osten.
Das klingt jetzt unverantwortlich, aber ich will probieren ob ich nicht doch irgendwie in Richtung Chapel Basin komme. Wenn ich mir was in den Kopf setze dann will ich das halt doch irgendwie durchziehen. Mein tollkühner Versuch die auf Brusthöhe zugeschneite Straße entlangzuwandern endet aber schon nach 15 Schritten, bei denen ich jedes Mal bis zum Knie einsinke. Daher habe ich zum Glück schon bald keinen Bock mehr auf Cross Country und wate zurück zur Anwohnerstraße.
Autos sieht man hier gar nicht und so kann ich zumindest einen hübschen Winterspaziergang machen. Die Schneeberge neben der Straße reichen mir mittlerweile bis zum Kinn und alles ist so herrlich ruhig. Auch die Sonne scheint meistens und ab und an kommt sogar der blaue Himmel zum Vorschein. Auf den ersten hundert Metern meckere ich noch ein wenig über den Schneesturm, der mir meine Winterwanderung vermiest, sehe dann aber ein, dass ich Flachlandindianer bei der Planung einfach damit hätte rechnen müssen, dass hier Schnee in der Höhe eines durchschnittlichen Mitteleuropäers fällt und nicht einmal im Jahr 10cm rumliegen. Also schaltete ich um von „So ein Dreck, jetzt bin ich tausende Kilometer geflogen und hunderte Kilometer gefahren und sehe doch nicht was ich möchte“ zu „Oh mein Gott, wie schön ist bloß der Winterwald“.
Nach einer Stunde hatte ich dann aber doch genug und drehte wieder um. Mein Winteroutfit hielt zwar immer noch schön warm, aber ohne festes Ziel hatte ich jetzt doch mehr Lust auf Kaffee und Gesellschaft. Nach weiteren 30 Minuten erreichte ich die Auffahrt
und zehn Minuten später leuchtete bereits das rote Lackkleid meines Terrains durch die Bäume.